Schloss Prösels: Text- und Bildimpressionen

Leseprobe

 

 

 

Zweite ordentliche Hauptversammlung der Fachschaft "Tiroler Henker" am 16. Juli 1509.*

 

 

Vorsitzender: Gilg von Rodem.

Weitere An­wesende: Franz Wagner, Meisterhenker aus Kaufbeuren, Klaus Seckler aus Würzburg, Sohn des dortigen Henkers, Thomas Seckler und gelernter Züchtiger im Stand eines Gesellen, Hans Riemer, Hen­kersknecht aus Würzburg.

Unentschuldigt abwesend: Stefan Ruef, Züchtiger zu Hall. Das Protokoll führt Franz Wagner.

 

Ort der Zusammenkunft: das Scharfrichterhaus neben  dem oberen Frauenhäusl, Meran

Beginn der Sitzung: beim Ave-Mariä-Läuten.

 

 

 

Der Vorsitzende: "Meine Herren, ich freue mich, dass Sie sich Zeit genommen haben, zur heutigen Arbeitssitzung zu kommen. Ich weiß, wie ungelegen der Termin für Sie alle ist, umso mehr, als Sie aufgrund unseres stark geschrumpften Budgets - die Zollstelle an der Toll hat die Mittel drastisch gekürzt - zu meinem Bedauern leider nicht einmal mehr in den Genuss der Ihnen eigentlich zustehenden Außen­dienstvergütung in Form eines Weggeldes von 8 Kreuzern pro zurück­gelegter Meile kommen."

 

 Seckler: "Was? 8 Kreuzer? Das sind doch Bezüge eines Entwicklungslandes! Bei uns in Deutschland -"

 

 Riemer: "Eben."

 

 Der Vorsitzende: "Na ja. Soweit ich informiert bin, aspirieren Sie beide doch gerade deshalb auf den Scharfrichterposten hier in Tirol, weil die Bezahlung lukrativer ist... Hier nämlich. In Tirol. Aber lassen wir das. Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihren Idealismus, der Sie hierhergeführt hat, und wünsche uns allen einen guten, produktiven Sitzungsverlauf. Ich möchte hier auch nicht die Gelegenheit versäumen, unserem heutigen Protokollführer für die Bereitwilligkeit zu danken, mit der er -"

 

Wagner: "Hmh"

 

Der Vorsitzende:"- für sein schließliches Einverständ­nis zu danken, heute Abend das Protokoll zu führen (anhaltendes Klopfen auf die massive Tischplatte). Schön! Haben Sie auch alles, Wagner? Pergament, Feder, Tinte, Sand? Gut. Dann wollen wir zur Tages­ordnung schreiten. Der erste Punkt betrifft die Verle­sung und Genehmigung des Protokolls der vergange­nen Sitzung. Nun: Herr Ruef kann aus beruflichen und anderen Gründen heute hier nicht anwesend sein. Darum -"

 

Seckler: (sarkastisch) "Aus beruflichen? Hört hört!"

 

Riemer: (spöttisch) "Wohl mehr aus anderen!"

 

Der Vorsitzende: "Meine Herren! Ich darf doch bit­ten!"

 

Seckler: "Er bittet. Warum heute so formell, Rodem. Das letzte Mal oben in Völs waren Sie doch auch nicht so zimperlich! Bald hätte man uns aus dem Richter­turm geworfen, weil Sie sich unbedingt mit Ihrem Haller Widersacher prügeln mussten..."

 

Riemer: (erinnert sich; grinst) "Die Show!"

 

Rodem: "Naja. Durch den Kerl ist mein Gehalt von einhundert auf fünfzig Gulden gefallen. Und der Kerl selbst streicht achtzig ein! Soll ich das Maul halten? Abgesehen davon: Meinungsverschiedenheiten kom­men doch in den besten Familien vor!"

 

Seckler: "In den besten schon! In unseren nennt man das Keilerei."

 

Riemer: "Beste Familien! Haben Sie vergessen, dass Sie einem unehrenhaften Gewerbe nachgehen?"

 

Rodem (wird langsam ungeduldig): "Na wissen Sie, wenn Sie Streit suchen -"

 

Riemer: (stößt den Kollegen unsanft in die Rippen) "Wer sucht denn da Streit? Wir wollen doch, dass die Tafel baldmöglichst aufgehoben wird, nicht? Ich habe morgen früh eine Tortur und möchte zeitig in den Strohsack. Na also."

 

Rodem: "Dann kann ich ja weitermachen. Also, nach­dem der Kollege Ruef aus bestimmten Gründen an dieser Sitzung nicht teilnehmen kann, liegt uns heute auch kein Protokoll vor und wir kommen zum zweiten Tagesordnungspunkt: Probleme der beruflichen Aus-und Weiterbildung. Möchte sich jemand zu Wort melden?"

 

Wagner: "Etwas langsamer, wenn ich bitten darf! Bei dem Tempo wird mir ja der Kiel heiß!"

 

 "Ja, was ich schon das letzte Mal unter Allfäl­ligem gesagt habe: Ich finde die neue Malefizordnung von Kaiser Max soweit schon in Ordnung. Es fehlen aber immer noch die Durchführungsbestimmungen. Was hilft's, wenn alle die schönen Techniken wie Köpfen, Erhängen, Ertränken, Vierteilen, Pfählen, Rädern und Verbrennen sowie die sonstigen Strafen wie -"

 Wagner: "Sie verlangen doch wohl nicht, dass ich hier die gesamte Halsgerichtsordnung von 1499 zu Proto­koll nehme?"

 

 Seckler (ungerührt fortfahrend) "- wie Prangerstellen, Abschneiden bzw. Ausreißen der Zunge, das Abschla­gen der Schwurfinger und der Hand - kommen Sie mit dem Schreiben mit, Kollege? - das Schleifen und die Prügelstrafe zwar fein säuberlich in Fraktura festge­halten werden, dann aber in der Praxis weder Viertei­len noch Pfählen zur Anwendung kommen? Das ist eine Verarmung des Berufsbildes, sage ich Ihnen, eine Deprivierung, gegen die wir uns im Interesse unserer Professionalität und unserer Reputation zur Wehr set­zen müssen!"

 

Riemer: "Schon, mein Lieber. Es geht aber hier zu­nächst um die berufliche Aus- und Weiterbildung; ums Lehrlingswesen zumal. Bleiben wir einmal bei den hausbackenen Methoden: Wer beherrscht schon ein­wandfrei das Abschlagen eines Kopfes im Gehen? Na? Sie vielleicht, Wagner? Höchstens der Rodem."

 

Rodem: (bescheiden) "Na ja, das war damals 1488 mein Meisterstück. Habe mein Debüt vor Sigmund selbst gegeben.

Folgendes, meine Herren: Am meisten Pfusch wird doch beim Aufhängen gemacht. Na, also. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir uns für die kommende Saison einen Fachmann aus Holland kommen lassen, der -"

 

Riemer: "Was Holland! Sind wir Deutsche nicht gut genug?"

 

Seckler: "Ich möchte ja nicht meine Verwandtschaft ins Spiel bringen. Aber mein Vater ist ein echtes As, gerade im Aufhängen. Könnten wir nicht ihn -?"

 

Rodem: (brummig) "Meinetwegen. Ist kein schlechter Mann, Ihr Vater. Ich weiß. Alter Berufskollege. Ein­stimmig? Gut, Wagner, schreiben Sie: Zur beruflichen Aus- und Weiterbildung der Meraner und Haller Rich­ter bzw. Richterlehrlinge wird an die Landschaft das Gesuch gerichtet, den Würzburger Scharfrichter, Thomas Seckler, zu einem - sagen wir: dreiwöchigen? - Seminar nach Meran zu holen. Weggeld, Kost, Logis und das Kurshonorar möge die Landschaft zusammen mit dem Salzmairamt in Hall und dem Töller Zoll übernehmen. Zudem wäre für eine terminliche Ände­rung der Hinrichtungen insofern Sorge zu tragen, als während des zeitlich noch zu fixierenden Seminars nicht weniger als sechs Eigentumsdelinquenten, denen ja die Todesstrafe durch Erhängen zusteht, als Studien­objekte zur Verfügung stehen sollten."

 

Riemer: "Ob der Burggraf damit einverstanden ist? Der alte Velser rückt doch keinen müden Gulden heraus! Den kenne ich! Zahlen? Die Vokabel gibt's in seinem Wortschatz nicht. Im Gegenteil! Was nicht niet- und nagelfest ist, stopft der flugs in die Familien­kasse. Der braucht's gerade dicke für den Schlossum­bau."

 

Wagner: "Vielleicht die Städte?"

 

Rodem: "Machen Sie sich doch keine Sorgen ums Geld! Geld ist genug im Umlauf. Eventuell muss eine Haushaltsänderung vorgenommen werden. Darum kümmere ich mich schon. Daran darf's nicht scheitern. Habe ein paar Freunde -"

 

Riemer: "Freunde? Seit wann hat denn unsereins Freun­de?"

 

Rodem: " - in der Landesregierung. Habe einigen ein paar Gefälligkeiten gemacht. Armesünderfett und so, Sie kennen das, als Abwehrzauber gegen die Hexen; Holz­splitter vom Galgen, Blut von Hingerichteten gegen ' s 'Hinfollete. Abgehackte Finger fürs Futtertrog, damit das Vieh besser gedeiht."

 

Seckler: " Und? Haben wir's langsam? Was ist dann mit dem nächsten Tagesordnungspunkt?"

 

Riemer: "Genau. Machen wir weiter, sonst bin ich morgen schon nach den Daumenschrauben geschafft. Nicht zu reden von der 'kluegen Schnur' und dem Aufziehen! Wenn ich schon daran denke! Nach zwei Miserere fällt mir der ja schon vom Seil. Weil ich's nicht mehr herhabe -"

 

Seckler: "Sie verlieren sich in Einzelheiten, Kollege. Der dritte Tagesordnungspunkt."

 

Wagner: "Wie wär's mit einer Pause?"

 

Rodem: "Nix da. Weiter. Nur nicht schlappmachen, ist der Wahlspruch unserer Zunft. Haben Sie den verges­sen?"

 

Wagner: "Ich jammere ja nicht wegen beruflicher Angelegenheiten! Die Schmiererei hier macht mich fertig!"

 

Rodem: "Es geht um den Tätigkeitsplan im nächsten Quartal. Ich muss Ihnen da etwas Persönliches kundtun, meine Herren: Ich möchte so bald als möglich in Rente."

 

Wagner: "Was??"

 

Riemer: "Na, was denn? Dann wird die Stelle hier vakant?"

 

Rodem: "Ja. Ich mag nicht mehr. Das Rheuma, und überhaupt. Ein Züchtiger muss wissen, wann seine Zeit gekommen ist. Was macht das denn für Bild, wenn ich in der Öffentlichkeit Pfusch mache. Da kommt doch unser ganzes Gewerbe in Verruf. Was wir zeigen müssen, ist Qualitätsarbeit. Verlässlichkeit. Präzision! Nur so werden wir unsere Überstundenforderungen durchbringen. Was ich sagen wollte: Wie Sie ja wis­sen, sind in Vels die Prozesse gegen die Hexen im Gang. Das Hin- und Herreisen setzt mir zu. Ich bin nicht mehr wetterfest. Die Fleimstaler Prozesse, ja die sind und bleiben mein Lebenswerk. Ich möchte es dabei belassen. Kurzum: Ende des Jahres quittiere ich den Dienst."

 

Wagner: "Sie werden Ihren armen Sündern abgehen. Echt!"

 

Riemer: (leckt sich die Unterlippe) "Was ist? Haben Sie schon einen Nachfolger bestellt? Ich wäre an dem Posten interessiert. Brennend!"

 

Rodem: "Ich hätte nichts gegen Sie einzuwenden, Riemer. Sie machen einen sauberen Schnitt. Allerdings kann ich Sie nur vorschlagen. Empfehlen, nichts weiter. Ent­scheiden tut der Velser. Das lässt der sich nicht neh­men."

 

Riemer: "Famos! Allerdings - ich könnte aufgrund mei­ner momentanen Verpflichtungen erst im Herbst näch­sten Jahres anfangen..."

 

Rodem: "Was ist mit Ihnen beiden? Seckler, Sie sind zwar erst Geselle, aber ein paar Monate lang könnten Sie ohne weiteres einspringen."

 

Seckler: "Nicht übel. Ich suche nämlich eh eine Prak­tikantenstelle. Topp, angenommen!"

 

Rodem: "Was ist mit Ihnen, Wagner? Sie könnten doch den Rest machen bis zum Herbst '10. Nicht?"

 

Wagner: "Na meinetwegen. Habe eh nichts Besseres vor. Und die Luftveränderung wird mir gut tun."

 

Rodem: "Dann, meine Herren, möchte ich Sie für heute Abend entlassen. Morgen Nachmittag treffen wir uns noch einmal und besprechen die restlichen beiden Punkte: Unsere finanzielle Situation: der neue Kollek­tivvertrag; die längst schon fällige Überstundenrege­lung und so. Wir schreiben einen Brief an den Landes­hauptmann mit unseren Forderungen. Ja, dann wünsche ich noch einen schönen Abend. Und Ihnen, Riemer, morgen gute Arbeit!"

 

Riemer: "Sehr freundlich! Danke!"

 

Wagner: "Morgen schreiben doch Sie das Protokoll?" Seckler: "Gute Nacht allerseits!"

 

 

        * * *

 

Mir fallen da einige Möglichkeiten ein, sich diesem düsteren Kapitel des Mittelalters, dem der Malefizgerichtsbarkeit, zu nähern:

 Entweder schweigt man dieses Thema tot; das ist aber natürlich keine eigentliche Beschäftigung mit dem Thema, sondern wohl mehr ein Verdrängen;

oder man schreibt eine historische Abhandlung darüber und lässt die persönliche Betroffenheit aus dem Spiel;

oder man drückt seine Befindlichkeiten aus und macht sich zum Ankläger eines Systems, wenn man nicht ganz einfach im Subjektiven verbleibt und einen Abgesang veranstaltet.

Oder aber, viertens: Man greift zu einem bitteren Lachen, zu einem Sarkasmus, der die Möglichkeit verschafft, sich emotional zu äußern und zugleich die Gefahr ver­meidet, zum Medium moralischer Entrüstung zu greifen und sich durch eine angemaßte Ob­jektivität den Anschein zu geben, man stehe über den Dingen.

 

Ich habe die letztere Möglichkeit gewählt, mit diesem beklemmenden Themenbereich zurande zu kommen.

 

 


Elmar Perkmann, Ivo Rossi Sief (Bilder)

Schloss Prösels. Text und Bildimpressionen

96 Seiten

22 cm x 24 cm

Herausgeber: Kuratorium Schloss Prösels und Südtiroler Bildungszentrum

Druck und Gestaltung: KARO-Druck, Eppan

6. September 1990

 

Status: Vergriffen

 

Entlehnbar u.a. bei der

Südtiroler Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann

 

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